Wie ich Samhain - die dunkelste Nacht des Jahres - feiere
Der November klopft an und mit ihm die dunkele Jahreszeit. Ich mag es noch gar nicht glauben, so sehr erhellt mich noch der goldene Herbst mit dem ganz besonderen Licht kurz vor Sonnenuntergang. Buntes Herbstlaub weht lustig durch Wald und Garten. Eine Lebendigkeit, die sich langsam zu Ruhe legt. Bald haben unsere Baumfreunde die letzten Blätter abgestoßen, die Safthähne zugedreht und die Kraft in das schützende Reich von Mutter Erde zurückgezogen. Das Grün, die Lebenskraft nehmen sie mit – durch nichts aufzuhalten. Die Pferde haben schon lange mit ihrem Winterfell vorgesorgt.
Die lichtarme Jahreszeit breitet sich aus. Zeit des Rückzugs. Wir tauchen immer tiefer in das Dunkel. In das Dunkel des Jahres und vielleicht auch in unsere eigenen im Dunklen verborgenen Räume. Jetzt ist Gelegenheit dazu. Jetzt ist die Zeit für Innenschau und Rückschau. Es ist wie ein großes Ausatmen. Ein Verweilen und Innehalten.
Vielleicht tauchen jetzt auch deine Schatten, motiviert durch die Dunkelheit, auf. Auch unaufgefordert. Unbeliebte Themen strampeln mit den Füßen und sehnen sich nach Aufmerksamkeit. Schau nicht weg. Dahinter liegen Geschenke verborgen, die von Drachen bewacht werden.
Ich genieße diese Zeit. Mag sein, dass mir als Skorpion-Geborene das Dunkle näher liegt. Ich näher am Tod und der Finsternis lebe. Das Verborgene, Unbekannte, Geheimnisvolle mich magisch anzieht.
Das Dunkel erinnert uns an die Vergänglichkeit, an den Tod.
Es ist eine gute Zeit, Verstorbene zu bedenken. Väter und Mütter. Väter von Vätern und Mütter von Müttern und die, die noch weiter dahinterstehen. Eine ganze Ahnenreihe wartet, gesehen zu werden.
Es ist eine Zeit, die zu bedenken, die nur kurze Dauer diese Welt mit uns teilten. Kinder, von denen wir uns verabschieden mussten.
Es ist eine Zeit, unsere verstorbenen vierbeinigen Verwandten zu ehren, mit deren Spirits uns immer zu Seite stehen.
Und es ist auch eine Zeit, mit der Vergänglichkeit und dem Tod in uns selbst Kontakt aufzunehmen. Mit Anteilen von uns, die abgespalten wurden und darauf warten, integriert oder neu geboren zu werden.
Es ist Zeit, Ideen, Projekte loszulassen, die in diesem Jahr nicht zur Blüte kommen konnten.
Es ist eine Zeit, dem verdrängten Dunklen im Kollektiv Aufmerksamkeit zu schenken. Auch das sehnt sich, gesehen und angenommen zu werden.
Es ist Zeit, zu erINNErn, dass Neues nur geboren werden kann, wenn Altes stirbt.
Die Natur lebt es uns immer wieder vor. In jedem Augenblick. Das Leben lebt sich in Zyklen. Das Leben ist Licht und Schatten.
Ich ehre in dieser Zeit den Schatten und das Dunkle bewusst. In unserer westlichen Kultur werden die dunklen Aspekte gern ausgeblendet, verdrängt oder gar bekämpft.
Fröhlichkeit und Glück wird allerorts als der Zielzustand angepriesen. Traurigkeit, Trauer, Depression, Kraftlosigkeit, Wut, Ärger dagegen sind nicht willkommen.
Doch gerade durch den Widerstand gegen die dunklen Aspekte des Lebens entsteht Leid.
Dann, wenn diese verdrängt, Drachen weggesperrt oder bekämpft und die Göttin in Schwarz ausgegrenzt werden.
Und: es kostet so viel Kraft, sie im Verborgenen zu halten. Lebenskraft. Deine Lebenskraft.
Wie unsere Vorfahren habe ich gestern mit Frauen das Samhain – Fest gefeiert. Stockfinster war es draußen, nur Kerzen auf dem Fensterbrett haben die Nacht erhellt und unseren Ahnen den Weg zu uns gewiesen. Wir haben uns vorbereitet. Geräuchert, getrommelt und gerasselt, Kraft aufgebaut, Unterstützung aus der geistigen Welt gebeten. Der Raum vibrierte vor Energie.
Jede hatte mitgebracht, was sie an ihre Ahnen erinnert, was ihr heute wichtig war. In der Mitte unseres Kreises auf dem schwarz-roten Tuch sammelten sich Fotos, Großmutterketten mit schweren Anhängern, eine verschnörkelte Anstecknadel mit rubinroten Steinen, ein rostiger alter Nagel, Eiben – und Mistelzweige, Hagebutten, Wal- und Haselnüsse, bemalte Steine und unbemalte, Kastanien, getrockneter Beifuß, Wacholder, Salbeibüschel, eine Schale mit Hirse … und vieles andere.
Das Trommeln hat uns schon weit aus dem Alltag in die Welt die Ahnen und Erinnerungen getragen. Jede versinkt in ihren ganz eigenen Prozess, ihre ganz eigenen Begegnungen.
Jede tut, was getan werden muss und was das Herz vorschreibt. Eine stille, konzentrierte Aktivität beginnt im Schein der Kerzen.
Stück für Stück fülle ich meine Ahnenschale. Nahrung für die Seelen. Bis es gut ist. Bis es getan ist. Zufriedenheit zieht ein. Durchamten.
Die Luft ist mit Liebe gesättigt und dem Duft von Beifuß, Wacholder, Salbei, Baumharz und Weidenrinde. Ein Duft der weiß, wie Weltenvorhänge aufgezogen werden.
Wollen die Ahnen uns noch etwas sagen? Die Trommel trägt mich weg vom Kreis und doch mittenhinein. Ich spüre wie sich eine Hand sanft auf meine Schulter legt. Ich spürte sie: Oma Else. Und ich spüre die Hand ihrer Mutter auf ihrer Schulter und dahinter noch eine Frau und noch eine. Die lange Reihe weiblicher Kraft - Ahnenkraft.
Tränen laufen meine Wangen hinunter.
„Nicht geweinte Tränen sind das Trennende“
dringt die Botschaft einer der Frauen, die weiter hinten in der Reihe steht, zu mir. Ein weiser Rat einer weisen Frau. Dann holt mich der Trommelschlag zurück in den Kreis der Frauen auf dem schwarz-roten Tuch mit der Kerze in der Mitte.
Wir Frauen schauen uns an: Ehrfurcht, Berührtsein, Fragen und Heilung. Vor allem Heilung ist an diesem Abend passiert.
Und ich werde mit den Worten meiner Ahnin eine Zeitlang gehen und nicht wegschauen. Ich schaue in das Meer der nicht geweinten Tränen und vielleicht, vielleicht kann ich sie weinen und erlösen. Um ihnen, den Vorausgegangenen eines Tages zu folgen.
Das Leben zieht sich in die Dunkelheit und Stille zurück, zu Mutter Erde um dort zu ruhen, Kraft zu sammeln, innezuhalten und durchzuatmen.
Hexenneujahr. Das neue Jahr beginnt! Im Schoß vom Mutter Erde, in der Dunkelheit. Jetzt. In der Dunkelheit wird alles neu geboren.
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